Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe ehemalige Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich komme sehr gerne der Bitte nach, für die nicht mehr angetreten und nicht mehr
gewählten Rätinnen und Räte einige Grußworte zu sprechen. Wir haben in den
vergangenen Jahren ja doch sehr, sehr viele Stunden zusammen verbracht, nicht alle nur
zur Freude und zum Wohlgefallen. Wenn man sich die Mühe gemacht hätte, hier zu
summieren, hätte man sicher festgestellt, dass oft die Sitzungszeiten die Stunden mit
Freunden und Familien deutlich überwogen.
Hat es sich gelohnt, oder hätte man besser zu Hause den Garten in Schuss gehalten
oder die Kinder erzogen. Was letzteres betritt, kann ich sagen, dass das bei meiner Frau
in den viel besseren Händen war.
Hat es sich gelohnt für diese Stadt, für unsere Stadt, für meine Stadt Lebenszeit zu
opfern?
Bei dem Gedanken, wessen Stadt ist es denn eigentlich, die man angeblich nur lieben
kann, kamen mir die ungezählten Führungen in den Sinn, die ich während meiner
Försterzeit mit Schulklassen durch den Reutlinger Stadtwald gemacht habe.
Ich stellte fast immer an die Kinder die Frage: „Wem gehört denn dieser schöne Wald?“
Und da kamen sehr originelle Antworten, von der Frau Merkel über den oder die OB „em
Förster oder em Kretschmann“, bis ich dann diese spannende Frage auflöste und sagte:
Das ist Euer Wald, der gehört Euch und Euren Eltern! Und weil sich Vater und Mutter
nicht um alles selber kümmern können, haben sie sich einen Förster angestellt und ich
hatte das Glück, dass ich das war. Nach einem kurzen Moment der Überraschung gab es
dann die unterschiedlichsten Reaktionen.
Einmal, das war glaube ich mit Zweitklässlern aus Sickenhausen, denen ich natürlich
vorher gesagt hatte, dass sie auch zur Stadt gehören, sprangen die Kinder freudig
zwischen den Bäumen hin und her und jubelten: „mein Wald, mein Wald“, nur ein
kleiner Junge stand etwas geknickt abseits, und ich fragte ihn: Warum freust Du Dich
denn nicht, worauf er sehr betrübt sagte:
„I ben net aus Sickahausa, i ben aus Degerschlacht.“
Ja, kurz und gut, so versuchte ich den Kindern klarzumachen, dass sie und ihre Eltern die
Waldbesitzer sind und wir Förster ihre Dienstleister. Aus dieser Überzeugung heraus ist
mir dann in den langen Sitzungen klar geworden, dass das, was für den Wald gilt, auch
bei der Stadt seine Geltung hat.
Sie gehört allen, und allen meint: nicht nur den Autofahrern, nicht nur den Radlern – und
auch nicht alleine den Marktbeschickern!
Das wird dann etwas konkreter, wenn man nicht nur abstrakt vom Bürger als Souverän
spricht, sondern sich das parallel zu den Waldbesucher ebenso klar macht, wie bei den
Menschen, die einem in der Stadt, auf dem Markt, auf den Zuschauerbänken, bei den
Festen begegnen. Sie sind unsere Auftraggeber, wir sind ihre Dienstleister – und zwar
alle!
Wenn uns das klar ist, dann verschieben sich auch manche Prioritäten und Maßstäbe.
Um so mehr, wenn man in einer Stadt als Gewählter Verantwortung übernimmt, die in
ihrer jüngeren Vergangenheit ihre Dienstleister durch einen Bürgerentscheid
zurückgepfiffen und korrigiert hat. Ja, natürlich meine ich das Bürgerbegehren von 2002
zum Kultur- und Kongresszentrum. Das war zu Recht ein überregional vielbeachteter
Beweis von selbstbewusster Demokratie.
Ich will nicht verschweigen, dass es nicht selten auch Momente gab, wo ich an diesem
aktiven Mitwirken der Bürgerschaft gezweifelt habe: wenn man von seinem Ratstisch
aus sehr häufig auf leere Zuhörerbänke blickt, oft nur von direkt Betroffenen besetzt.
Da kann ich nur au ordern und den Bürgern zurufen: Schaut nach Euren Dienstleistern,
schaut was für eine Arbeit sie abliefern. Dann hättet ihr auch gemerkt, dass in den
vergangenen fünf Jahren die Herrschaften auf der ganz rechten Seite sehr selten alle ihre
Plätze belegt hatten und sich in sehr vielen Fällen bei Abstimmungen der Stimme
enthielten.
Zur kommunalpolitischen Auseinandersetzung gehört, meine sehr geehrten Damen und
Herren, damals wie heute Courage. In dieser Hinsicht war Ursula Menton ein Vorbild, ich
haben in der Zusammenarbeit mit ihr über Fraktionsgrenzen hinweg viel gelernt. Eine
Mutter Courage, wenn ich etwa an die Querelen beim Naturkundemuseum oder beim
Stadionneubau denke. Und inzwischen ist der Mut, zu seiner Meinung zu stehen,
vielleicht noch wichtiger geworden.
Da ich mit meinem kleinen Rückblick für die ausscheidenden Gemeinderäte spreche,
darf ich denen nun zunächst wünschen, dass sie in den neu gewonnenen Zeiten viel
Schönes und Erfreuliches erleben. Gleich, ob Sie nicht mehr gewählt wurden, oder nicht
mehr angetreten sind.
Es gibt ein Leben nach der Politik!
Und dieser Zugewinn kann sich lohnen, und gerade im Blick auf die vielen neuen und
häufig jungen Gesichter, muss es einem nicht bange werden, im Gegenteil, wir haben
auch mal jung angefangen!
Ich bin auch in diesen turbulenten Zeiten voller Zuversicht und ho e und wünsche, dass
die Menschen in Reutlingen in eine Zukunft gehen, in
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit!
Johannes Schempp, 1. Oktober 2024